Einsatz für Menschenrechte
Die 15. Bremer Migrantinnentage der Migrationsabteilung des Kulturzentrums Lagerhaus beginnen am Mittwoch, 20. November. Bis 31. Dezember laufen Veranstaltungen zum Thema „Menschenrechte“.
Mit dabei ist die Potsdamer Autorin Jeanette Erazo Heufelder. Sie stellt ihr Buch „Drogenkorridor Mexiko“ vor.
VON CHRISTIAN BEHRENS
Ostertor. Drogenhandel in Mexiko ist eines der Themen, über das die 15. Bremer Migrantinnentage im Kulturzentrum Lagerhaus, Schildstraße, informieren. Schwerpunkt der von Recai Aytas und Eusevia
Torrico organisierten Reihe sind die Menschenrechte. Die Potsdamer Autorin Jeanette Erazo Heufelder stellt ihre Reportage „Drogenkorridor Mexiko“ vor.
Vom kommenden Mittwoch, 20. November, bis Ende Dezember laufen verschiedenste Konzerte, Ausstellungen, Diskussionen, Filme und Lesungen. Die Senatskanzlei und das Referat für
Zuwanderungsangelegenheiten bei der Senatorin für Soziales, Kinder, Jugend und Frauen unterstützen das Festival.
Jeanette Erazo Heufelder liest am Sonntag, 29. November, ab 19.30 Uhr im Kulturzentrum Lagerhaus. „Meine Kollegin Eusevia Torrico, die aus Peru stammt, ist auf ihr Buch gestoßen“, sagt Recai Aytas.
Jeanette Erazo Heufelderhat für ihr Werk „Drogenkorridor Mexiko“ drei Monate lang recherchiert. „Beim ersten Besuch habe ich nur versucht, Kontakte zu knüpfen“, sagt die Autorin. Während der zweiten
Reise reichten ihre Bekannten sie weiter und ermöglichten ihr einen tiefen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse Nordmexikos.
Schon in ihren früheren Büchern hatte sie sich mit der Region beschäftigt. Der Plan, über Mexiko zu schreiben, sei lange gereift, sagt sie: „Ursprünglich wollte ich über die Corridos schreiben. Diese
traditionellen mexikanischen Kompositionen haben sich in den letzten 20 Jahren zu Drogenliedern entwickelt.“ Die Situation im Land verschlimmerte sich während der Recherchen allerdings – und so
änderte sich der Fokus der Autorin.
Sie beschreibt die Region zwischen Culiacán am Pazifik und Ciudad Juárez an der Grenze zu den USA. Der Drogenhandel beeinträchtigt dort das Leben der meisten Einwohnerinnen und Einwohner.
„Menschenrechtsanwälte, die sich zum Beispiel für die Rechte der Bauern einsetzen, werden kriminalisiert und mit den Drogenhändlern in eine Ecke gestellt. Sie werden ebenfalls als Gegner des Staates
gesehen“, sagt Jeanette Erazo Heufelder.
Schutzlose Familien
Wenn Mädchen verschwinden, geht die Polizei dem Verbrechen nicht nach. „Da wird dann behauptet, es gäbe einen Freund, von dem die Eltern nichts wüssten. Und die Familien können sich keinen Anwalt
leisten. Wir erleben hier eine Situation, in der der Staat seine Aufgaben nicht mehr wahrnimmt.“ Ihr selbst sei dieser Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche vor ihrer Recherche nicht klar gewesen.
„Man fährt mit einer bestimmten Idee in ein Land, aber manchmal überholt einen die Wirklichkeit auch.“
Seit Erscheinen von „Drogenkorridor Mexiko“ vor zwei Jahren nimmt Jeanette Erazo Heufelder eine Veränderung wahr: „In der deutschen Öffentlichkeit ist vor allem der Drogenkrieg präsent. Auf mich
kommen aber jetzt zunehmend auch Organisationen mit einem breiteren Fokus zu, wie jetzt auch bei den Migrantinnentagen.“
Die breite Streuung von Themen ist in der Lagerhausreihe durchaus beabsichtigt. Ein Film beschäftigt sich mit der Rüstungspolitik Israels, drei Brüder aus dem Iran berichten von ihren Erfahrungen als
Migranten in Deutschland, und das Afrika-Netzwerk Bremen stellt seine Arbeit vor. „Das ist der typische Charakter der Migrantinnentage. Unser Ziel ist es, unterschiedliche Personen und Gruppierungen
zu erreichen“, sagt Recai Aytas. In diesem Jahr drängte sich die Idee, Amnesty International zum Partner zu wählen, förmlich auf. Die Menschenrechtsorganisation präsentiert sich in einer Ausstellung
im Kafé Lagerhaus und einem Infoabend zum Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina.
Doch auch der eigene Arbeitsalltag findet seinen Weg ins Programm der Migrantinnentage, wie Recai Aytas berichtet: „Wir begleiten bremische Politik sehr kritisch. Obwohl die Situation für Flüchtlinge
hier nicht so schlecht ist, merkt man, dass so viele nicht erwünscht sind.“ Der Referent für Migration im Lagerhaus sitzt auch im Vorstand des Bremer Rates für Integration. Dem Schicksal
„unerwünschter“ unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge widmet sich eine Diskussion am 12. Dezember im Kulturzentrum Lagerhaus (siehe auch Bericht auf Seite 4). „Wir müssen diese Flüchtlinge
akzeptieren. Der Staat hat die Pflicht, diese Aufgabe zu übernehmen“, findet Recai Aytas. Nicht zuletzt die Flüchtlingsströme infolge des arabischen Frühlings hätten den Ausschlag für das diesjährige
Thema Menschenrechte gegeben.
Die Migrantinnentage beginnen mit dem Film „The Lab“ über Israels Rüstungsindustrie mit Regisseur Yotam Feldman am Mittwoch, 20. November, um 19.30 Uhr im Lagerhaus Schildstraße. Eintritt frei. „West
East – ein musikalischer Trialog“ am Sonnabend, 23. November, ab 20 Uhr in der Kulturkirche St. Stephani. Eintritt 16 Euro, ermäßigt neun. Am Freitag, 29. November, liest Jeanette Erazo Heufelder ab
19.30 Uhr im Lagerhaus aus „Drogenkorridor Mexiko“. Eintritt frei. Mehr über die Reihe in der nächsten Ausgabe.
Aladin wirbt für Toleranz
Ein Theaterprojekt bringt den Kindern den Toleranz-Gedanken nahe. Ein Gastspiel fand jetzt an der Tami-Oelfken-Schule in Lüssum statt.
VON IRIS MESSERSCHMIDT
Lüssum. Kindertheater in der Tami-Oelfken-Schule: Der verarmte Aladin wünscht sich vom Geist aus der Lampe Essen für seine Mutter und sich. Nach exotischen Früchten serviert der Geist das
Hauptgericht, „Spaghetti Bolognese mit Döner Kebab“. Im Publikum lachen da nur die Erwachsenen – für die Grundschüler ist diese Zusammenstellung offenbar völlig normal. Das interkulturelle
Kindertheater spricht ihre Sprache.
Seit Jahren hat sich die Tami-Oelfken-Grundschule die Sprachförderung auf ihre Fahnen geschrieben. „Seit gut vier Jahren tritt in diesem Zusammenhang auch diese Theatergruppe bei uns auf“, erzählt
die Schulleiterin Syltje Töpper-Hurle. Das Theaterstück sei zwar nicht das einzige Angebot im Rahmen der Sprachförderung, „doch die Schauspieler, denen der Migrationshintergrund deutlich anzusehen
ist, wecken in den Kindern durchaus das Gefühl von Nähe, Vertrauen und Verständnis“. Da ist sich Töpper-Hurle sicher. Schließlich gebe es an der Tami-Oelfken-Schule mehr Kinder mit
Migrationshintergrund als ohne. Maßnahmen zur Sprachförderung zeigten bereits erste Erfolge, berichtet die Schulleiterin.
Die „Interkulturelle Kindertheaterwoche“ findet bereits zum 16. Mal statt. Sie wird in ganz Bremen angeboten. In Bremen-Nord ist die Tami-Oelfken-Grundschule die einzige Grundschule, in der die
Schauspieler eines der bekanntesten Märchen aus 1001 Nacht auf die Bühne bringen.
Damit startet gleichzeitig die Interkulturelle Theaterwoche. Für die Kinder der Tami-Oelfken-Schule, die eigentlich einen Euro pro Kind Eintritt für das Theaterstück zahlen müssen, ist der
Theaterbesuch kostenlos. „Wir haben dafür Fördertöpfe“, erläutert Schulleiterin Töpper-Hurle.
Die Veranstalter – das Kulturzentrum Lagerhaus (Bereich Migration) und das Referat Integrationspolitik der Stadt – wollen mit dem Stück Fremdenfeindlichkeit entgegenwirken und die Toleranz und den
Respekt der Kinder untereinander fördern.
Die Schauspieler, die aus Berlin kommen, halten sich dabei nicht immer an die Vorlage. Einen rappenden Moussek beispielsweise gibt es in 1001 Nacht nicht. Doch der reiche Nachbarsjunge, der dem armen
Aladin die Lampe klauen will, hat die Kinder schnell auf seiner Seite. Es ist sein Tanz, der sie begeistert – auch wenn er am Ende verliert und wie in den meisten Märchen das Gute siegt. Moussek und
sein böser Vater bekommen ihre gerechte Strafe. Aladin, der arme Holzfällerjunge, bekommt die schöne Tochter des Sultans und der Geist aus der Lampe seine Freiheit. Die Botschaft des Stücks wird
deutlich: Mehr Toleranz und mehr Gerechtigkeit.
Kuba war hier
Die Reihe „Cuba aquí“ (Kuba hier) geht am Sonntag zu Ende. Im Lagerhaus Schildstraße haben Künstlerinnen und Künstler aus Bremen und Kuba mit ihren Gästen eine kubanische Nacht
gefeiert.
VON CHRISTIAN HASEMANN
Bremen. Kuba ist sechs Wochen lang in Bremer Galerien zu Gast gewesen. „Cuba aquí – Kubanische Kunst zu Gast in Bremen“, das Projekt von „pro-tisk“, der Agentur für internationalen Kulturaustausch,
endet am Sonntag, 24. März, um 17 Uhr mit einer Benefizauktion in der Villa Sponte, Osterdeich 59b. Im Lagerhaus Schildstraße feierten die Gastgeber und ihre Gäste eine kubanische Nacht mit der
deutsch-kubanischen Band „Son Lindo“, Son und Salsa, kubanischen Zigarren und Cuba Libre.
„Eigentlich wollten wir nur ein kleines Projekt machen, aber dann wurde es immer größer. und immer mehr wollten mitmachen“, sagt Galerist Tilman Rothermel von „pro-tisk“, der die Reihe gemeinsam mit
Libuse Cerna organisiert. „Auch der Kulturattaché der kubanischen Botschaft in Deutschland hat sich die Ausstellung angesehen. Und in den kubanischen Medien haben alle über die Ausstellung in Bremen
berichtet.“
Ein ehemaliger Bremer Politiker übernahm dann auch für die „Kubanische Nacht“ die Patenschaft. Willi Lemke, der frühere Senator für Bildung und Wissenschaft, der derzeit als Sonderbotschafter der
Vereinten Nationen für Sport in der Welt unterwegs ist, hatte die Patenschaft für den kubanischen Abend im Lagerhaus übernommen. Er konnte mitreden, denn er war schon auf Kuba. Und er war es auch
gewesen, der die Idee mit den Paten gehabt hatte.
„Ich war vor 35 Jahren das erste Mal auf Kuba“, sagt Willi Lemke. Wirtschaftlich gehe es dem Land nicht so gut, aber er sei immer wieder begeistert von der Lebensfreude, die die Kubaner ausstrahlen.
„Einmal habe ich auf Kuba eine Party auf einem großen Platz gesehen. Da tanzten die Menschen um ein einfaches Transistorradio, das auf dem Boden lag. Ich fragte: Wer ist das? Mir wurde geantwortet:
Das sind die Beamten der Finanzbehörde. Und da musste ich mir dann unsere Beamten vorstellen“, gab Willi Lemke eine Anekdote zum Besten. Er freue sich, dass es geklappt habe, kubanische und deutsche
Künstler zusammenzubringen und hoffe auf weiteren Austausch.
Gar nicht so einfach war es für die Bremer, sich Gäste aus Kuba einzuladen. „Das ist alles mit sehr viel Bürokratie verbunden“, sagt Tilman Rothermel. Das schreckt ihn aber nicht, denn der Austausch
soll intensiviert werden. „Wir wollen den Bezug zwischen Santiago de Cuba und Bremen wieder stärken, es gab ja schon enge Verbindungen in der Vergangenheit“, sagt Rothermel.
Außerdem sollen Kulturhäuser und Kinderateliers auf Kuba gefördert werden. „Die Menschen auf Kuba sind ungeheuer kreativ und erfindungsreich. Sie haben sehr gute künstlerische Fähigkeiten“, sagt der
Hulsberger Galerist und Künstler.
Der Fotograf und Kulturvermittler Waldo Regueiferos und die Kuratorin und Kunsthistorikerin Maricel Nápoles berichteten im Lagerhaus von ihrer Arbeit in Santiago de Cuba. Über die Asociación Hermanos
Saíz unterstützen sie das Kinderatelier „Taller Gregorio“ in La Maya. Waldo Regueiferos antwortet auf die Frage, wie und ob die Künstler selbst von ihrer Arbeit leben können: „In der Tat ist das
nicht einfach. Es fehlt an Geld und Material. Die Künstler arbeiten mit minimalen Mitteln.“ Libuse Cerna und Tilman Rothermel von „pro-tisk“ wollen die Künstler und das Jugendatelier unterstützen.
„Wir sammeln dafür Materialien, Fotoapparate, Kameras“, sagt Tilman Rothermel.
Dass in Bremen gerne Salsa getanzt wird, machte sich spätestens beim Auftritt der Band Son Lindo im Lagerhaus bemerkbar. Gerd Seemann hat die Band gemeinsam mit dem Kubaner Silvano Mustelier
gegründet. „Ich war vor 25 Jahren das erste Mal auf Kuba und habe dort auf der Straße die kubanische Musik gelernt“, sagt Seemann, der die Band gemeinsam mit dem Kubaner Silvano Mustelier gegründet
hat. Sein ehemaliger Trommellehrer spielt heute bei „Son Lindo“ die Timbales, das typisches kubanisches Trommelpaar. Die Musik der Gruppe bezeichnet Gerd Seemann als Son Cubano mit Eigenheiten.
„Jedes Bandmitglied hat einen anderen Musikhintergrund, teils haben sie studiert, teils sind es Jazzmusiker, das fließt natürlich in die Interpretationen mit ein“, sagt er. In der Galerie Am
Schwarzen Meer hatte „Son Lindo“ den ersten Auftritt in vollständiger Besetzung, mit Seemann, Mustelier, Moritz Zopf am Kontrabass, Ardiles Ruíz an der Posaune und Karin Ebermann am Piano.
Wer sich für kubanische Kultur interessiert oder die Kinderateliers unterstützen möchte, kann sich an die Galerie Am Schwarzen Meer, Am Schwarzen Meer 119, wenden. Mehr auf
www.kulturhof-peterswerder.de. Die Reihe „Cuba aquí“ endet am 24. März in der Villa Sponte, Osterdeich 59a im Steintor. Gegen 17 Uhr werden kubanische Kunstwerke zugunsten der Jugendeinrichtung
„Taller Gregorio“ versteigert.
„Die Ausländerbehörde ist wie eine Mauer“
Der Eritreer Zekarias Kebraeb hat im Lagerhaus sein Buch „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn“ vorgestellt. Er berichtete von seiner dramatischen Flucht von Afrika nach
Europa.
VON CHRISTIAN HASEMANN
Ostertor. „Ich habe gebetet und gebetet, aber nichts passierte. Ich war sehr traurig. Ich wollte nicht in der Wüste sterben“, sagt Zekarias Kebraeb. Über seine Flucht aus Eritrea, dem Land am Horn
von Afrika, nach Europa hat er das Buch „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn“ geschrieben. Im Lagerhaus Schildstraße hat er es auf Initiative des Migrationsbüros und des Rates für Integration
vorgestellt.
An aktuellen Bezügen fehlt es nicht. In Schwachhausen ist gerade ein Flüchtlingswohnheim eröffnet worden, und auch in das frühere „Haus des Sports“ werden Asylsuchende einziehen. „Hier im Stadtteil
entsteht ein Haus für Flüchtlinge und ich bin stolz auf die Reaktionen der Menschen aus dem Stadtteil“, sagte Ortsamtsleiter Robert Bücking. Mit einer freundlichen Begrüßung sei es nicht getan. Auf
die Dauer würden Freiwillige gebraucht, die die Flüchtlinge begleiten. Bücking hofft auf die Hilfe aus Sportvereinen, des Migrationsbüros im Lagerhaus und von engagierten Menschen aus dem Stadtteil,
mit Fremdsprachenkenntnissen. Es wird damit gerechnet, dass Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und dem Iran und aus Afghanistan kommen.
Und sie werden Ähnliches erlebt haben wie Zekarias Kebraeb, werden von Leid und enttäuschten Erwartungen berichten können, aber auch von Hoffnung und Glück. „30 Jahre hat der Kampf um Unabhängigkeit
von Äthiopien gedauert“. sagt der 26-Jährige über Eritrea. „Das Land war verwüstet. Felder und Wälder waren verbrannt. Die Menschen verlernten Getreide anzubauen, und aus Eritrea wurde das größte
Gefängnis der Welt.“ Alles habe sich nur noch um Krieg und um den Unabhängigkeitskampf gedreht. „300 000 Menschen dienen in der Armee Eritreas, es ist die größte Armee Schwarzafrikas.“ Alle
Schulabgänger werden zum Wehrdienst eingezogen. Wer sich weigere, werde in eines der Foltergefängnisse gesteckt.
„Ich wollte aber nicht zur Armee“, sagt Zekarias Kebraeb, „ich hatte wie viele Eritreer einen Traum: Freiheit.“ Am Flughafen seiner Heimatstadt Asmara habe er startende Flugzeuge beobachtet. „Wenn
ich eins starten sah, sagte ich: Bitte nimm mich mit nach Europa!“ Zehn Monate lang habe er sich bei seinen Eltern verstecken können. „Auf den Straßen suchten sie nach jungen Menschen. Wer keinen
Militärausweis hatte, wurde verhaftet.“ Schließlich habe er sich einen gefälschten Militärpass besorgt und als 17-Jähriger gegen den Willen seiner Mutter das Land verlassen. Die erste Station war
Khartum im Sudan. „Dort war es sehr gefährlich für uns. Nach sechs Monaten habe ich mich dann einer Gruppe von 60 bis 80 anderen Flüchtlingen angeschlossen und habe dann versucht, nach Libyen zu
kommen.“ Die Passagen des Buches über die Tortur in der Wüste spiegeln pure Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Stille. „Nicht mal mehr das Rauschen des Blutes konnte ich wahrnehmen.“ Er und andere
waren dem Tode nahe. „Die Menschen waren so verzweifelt, dass sie die anderen anflehten, deren Urin trinken zu dürfen, oder sie versuchten, Benzin zu trinken.“ Er habe Infusionen geschluckt, die ein
anderer Flüchtling bei sich hatte.
Die Gruppe erreichte eine libysche Oase und fand im 1000 Kilometer entfernten Tripolis einen Schlepper. „Wir waren 150 Eritreer, jeder hat 150 Dollar bezahlt. Zekarias Kebraed konnte weder schwimmen,
noch war er zuvor jemals auf einem Schiff gewesen. Zwei Tage und zwei Nächte dauerte die Überfahrt nach Italien. „Als Sturm aufkam, dachten wir alle, dass wir nun sterben würden.“ Fischerboote seien
abgedreht, ohne sich um die in Seenot Geratenen zu kümmern. „Den Fischern drohen Gerichtsverfahren und der Entzug ihrer Lizenz, wenn sie Flüchtlinge an Bord nehmen.“ Als das Schiff Sizilien
erreichte, sei er in Haft genommen und nach ein paar Tagen Haft entlassen worden. „Ich bin dann nach Mailand gefahren. Ich bin noch nie Zug gefahren, alles war neu für mich. Als ich in Mailand
ausstieg, war das Erste, was ich sah, ein Mann, der Essen aus einem Mülleimer suchte.“ Das könne nicht Europa sein, habe er gedacht, der Schlepper habe ihn in ein anderes Europa gebracht.
Sein Ziel war Skandinavien, doch schon in der Schweiz wurde er verhaftet. „Ich durfte nichts machen. Nicht arbeiten, nicht zur Schule, nicht reisen.“ Später versuchte er über Deutschland nach
Schweden zu gelangen, wurde in Hamburg verhaftet und kam in Bayern in Abschiebehaft. „Die Ausländerbehörde ist wie eine Mauer“, sagt er. „Alles wird abgelehnt. Reisen: Abgelehnt. Arbeit: Abgelehnt.
Schule: Abgelehnt. Ich bin doch ein Mensch: Abgelehnt.“ Schließlich habe er illegal die Hauptschule besucht und sei auch dafür bestraft worden. 2009 aber wendete sich das Blatt. Die Journalistin
Marianne Moesler schrieb mit ihm zusammen seine Geschichte auf. Es folgten Fernsehauftritte und ein Neujahrsempfang in Berlin. Auch die Bundeskanzlerin war da. „Ich habe ihr das Buch geschenkt und
wir haben uns über die Flucht unterhalten“, sagt er. „Unvergesslich.“
Inzwischen lebt der junge Eritreer in Berlin. Aber nur noch für kurze Zeit. „Ich werde in Äthiopien studieren.“ Er wolle seiner Heimat nahe sein und versuchen, junge Afrikaner zum Bleiben zu bewegen.
„Ich möchte Vorbild sein, indem ich in Afrika studiere. Afrika kann was leisten und junge Afrikaner müssen Afrika ändern.“ Deutschland sei aber für ihn auch ein wenig Heimat geworden. „Ich werde
bestimmt wiederkommen.“ Was die Bewohner der neuen Flüchtlingsheime angeht, war dem Publikum klar: „Sie werden dieselben Probleme haben wie Zekarias, zum Beispiel mit der Residenzpflicht. Es reicht
nicht, sie zu akzeptieren, wir müssen auch ganz genau hinschauen.“
Zekarias Kebraeb, „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn“, Bastei Lübbe, 8,99 Euro. Siehe Vorträge heute im Forum Kirche (Seite 5).
Quelle: WK 04.02.2013